Zum Schreien – GustOLs Kipferl-Drama

Ich bin deprimiert. Wie konnte das bloß so schiefgehen?! Es sollte mein großer Backauftritt – GustOLs großer Backauftritt werden, mit traumhaften Vanillekipferln, die die Herzen meiner Kollegen zum Schmelzen bringen. Alles war bestens vorbereitet. Doch dann ging irgendwas gehörig schief und es schmolz etwas anderes. Aber lest selbst.

Was vorher geschah:
Es war ein Gräuelbild der Verwüstung, als letztes Jahr „Jürgen, das Chaos-Schaaf“ in Ingrids Küche beim Weihnachtsbacken im Kollegenkreis zugeschlagen hatte. Essensreste und Teig in der ganzen Küche auf Tellern verstreut, dreckiges Geschirr, überall leere Glühweinflaschen und alles bedeckt mit einem feinen Fettfilm, der Mehlstaub magisch angezogen hatte. Von Müll und feinsäuberlich versprengten Restzutaten reden wir gar nicht erst. Dass Ingrid einige Monate danach in eine neue Wohnung zog, soll allerdings nichts mit dem Chaos zu tun haben.

Bild: Imago

Doch dieses Jahr sollte alles etwas gesitteter zugehen, wenn die befreundeten Redakteure einfallen. Damit nicht wieder Köche und hungrige Bäcker überkreuz herumfuhrwerken, griff unsere schlaue Kollegin schon am Vorabend zum Kochlöffel und kredenzte eine pfiffige Kürbissuppe, die von mir ausgezeichnete 4,5 Sterne bekam. Also konnten sich alle mit gefüllten Magen anschließend aufs Backen konzentrieren. Eigentlich.

Für dieses Jahr hatte ich mir was ganz besonderes ausgedacht. Karin, eine Freundin von mir, hatte vor langer Zeit ein uraltes Geheimrezept für Vanillekipferl von ihrer Mutter geerbt. Ich hatte die halbmondförmigen Teilchen einmal bei ihr probiert und war hin und weg. Da wusste ich: Mit diesen Dingern wirst du beim Kollegen-Backen der Star.

Dank einiger Überredungskunst konnte ich ihr das Rezept abschwatzen und gleich die „Cup“- und „Spoon“-Förmchen dazu, die fürs Abmessen notwendig waren, denn das sagenumwobene Rezept, das schon Generationen von Kuchenliebhabern mit Wonne erfüllt hat, kommt aus den USA und hat entsprechende Mengenangaben.

Das Rezept verlangte spezielle Cup- und Spoon-Maßeinheiten.

Nach Suppe und ein paar Glühweinchen ging’s dann ans Werk. Für große Verwunderung sorgte erst mal Anna. „Was ist das denn für’n Holzklotz“, fragte ich meine Kollegin etwas barsch, die ein braunes, eckiges Etwas auf einer Arbeitsplatte legte. „Aaach, ich bin nicht mehr dazu gekommen, mir Rezept und Zutaten zu besorgen – und da hab ich mir diesen Fertigteig geholt.“

Fer-tig-teig?! Ich war kurz drauf und dran, Anna unsere Gastrokritik-Gemeinschaft aufzukündigen, aber da sie grad hochschwanger ist und in letzter Zeit sehr viel Stress  hatte, ließ ich es ihr noch mal durchgehen. Doch etwas Spott musste sein. „Schmeckt wahrscheinlich sowieso besser“, konterte ich schnippisch. Böse Blicke. Böööse Blicke zurück. Und aus ihrer Bauchgegend meinte ich, ein wütendes Stampfen zu vernehmen.

Anna rollt ihren Holz…, pardon, Fertigteig aus.

Während Anna ihren Teig-Holzklotz ausrollte und leicht grimmige Blicke in meine Richtung warf, half Timo mir bei den Zutaten. Butter, Mehl, Zucker, gemahlene Mandeln und noch die eine oder andere Kleinigkeit – ich maß alles ganz exakt nach dem Rezept ab. Das Rühren mit dem Löffel war echt ne Plackerei. Alles klumpte und klebte am Löffel fest. Also rein die Hände, um das Zeug besser zu vermengen. Ein schönes Gefühl ist es ja nicht grad, die Pampe an den Fingern kleben zu haben, und besonders appetitlich sah es auch nicht aus – was ich unfreiwillig mit ächzenden Unmutsgeräuschen ausdrückte.

So richtig lassen sich die Zutaten nicht vermengen. Da muss ich gleich mit den Händen rein.

„Na, hat der Herr Probleme“, sagte Anna grinsend in meine Richtung, begleitet vom Gelächter der anderen, die belustigt auf meine Teig-Tentakeln blickten. Doch nach ein paar Minuten wilder Kneterei war es geschafft. Meine Gastro-Kollegin kratzte noch unter großem Gelächter die letzten Reste von meinen Händen –  dann wartete ein süßer, mehliger Klumpen darauf, in kleine Hörnchen gerollt zu werden.

Anna hatte ihre ausgestochenen Plätzchen mittlerweile mit buntem Streuselzeugs  und einer Art Zuckerguss bedeckt, der eher transparentem Schleim als milchigem Guss ähnelte, und schob sie in den Ofen. „Haben wir noch ein zweites Blech?“, fragte ich in die Runde. Da Gastgeberin Ingrid nur eins besaß, hatte Anna noch eins weiteres mitgebracht, und Josie reichte es mir.

Zuckerguss? Das Zeug auf Annas Plätzchen sieht doch eher wie transparenter Schleim aus, oder?

Mit ganz viel Liebe rollte ich kleine Hörnchen und reihte sie penibel aneinander aufs Backblech. „Was sind das denn für Dinger – sieht ja pervers aus“, grunzte Anna amüsiert lachend. Als ich nach gut und gerne 10 Minuten angestrengten Formens das Blech in den Ofen schieben wollte, macht es Rumms. Das Teil knallte mit den äußeren Enden gegen den Ofen und zwar aus einem Grund: es war schlicht zu breit!

Während ich wüst meinen Unmut rausschimpfte, lachte sich meine mittlerweile gut alkoholisierte Backgesellschaft kringelig. „Naa, kriegste deine Zipferl nicht reingeschoben, GustOL“, prustete Anna von hinten. Ich versuchte es andersherum, was zwar nun von der Breite passte, aber zu lang war – unterdessen blies mir die heiße Ofenluft immer mehr Schweißperlen auf die Stirn. Dann konnte ich die Klappe doch noch schließen – nur zu dem Preis, dass das Blech jetzt total schief drinnehing. Egal. Ich wollte jetzt nur noch eins: Alkohol.

„El Chocolatero Tinto“ von Lionel Osmin & Cie: So hieß der gute Tropfen, den ich entkorkte und der mir mit seiner sanften Trockenheit und feiner Frucht neue Backfreude einhauchen sollte. Aaaah genau das Richtige nach der fiesen Glühweinpansche und dem ganzen Stress. Jetzt war ich wieder gut drauf, schenkte der nun mit dem Kneten beschäftigten Ingrid auch ein Gläschen ein und „fütterte“ sie damit, während ihre Hände im Teig ruhten. Muss wohl ein komisches Bild gewesen sein, denn ich merkte, wie sie beim Trinken mit dem Lachen kämpfte. Vorsichtig nahm ich ihr das Glas vom Mund, denn der Wein war kurz davor durch Ingrids Nase in den Teig zu tropfen, den sie für „Marions Kulleraugen“ zubereitete.

Und so genoss ich erst mal selbst entspannt meinen roten Spanier, während süßer Kipferlduft in meine Nase stieg. „WAS ist DAS denn GustOL?!“, riss mich Josie schrill aus meinen Genießer-Gedanken und gestikulierte mit einem Ooops-Gesichtsausdruck wild in Richtung Ofen. Um ein Haar wäre mir mein Weinglas aus der Hand gefallen, denn etwas Schlimmes war mit meinen Kipferln geschehen. Sie sind regelrecht zerlaufen, zerschmolzen. Plattferl statt Kipferl. Unser neuer Kollege Carlo legte tröstend seinen Arm um mich und meinte: „Ach, halb so wild, sie sehen nur etwas anders aus. Aber wichtig ist doch, dass sie schmecken.“

Josie holt meine zerlaufenen Kipferl raus.

Zurück in der Gegenwart:
Ich setze mich erst mal hin. Das hat optisch wirklich nichts mehr damit zu tun, was eigentlich herauskommen sollte. Ich hab gar keine Lust mehr, sie aus dem Ofen zu holen, deshalb macht es Josie für mich, bevor sie verbrennen. Zwar bestreue ich die platten Dinger noch traumatisiert-roboterhaft mit Puderzucker, aber so richtige Freude will nicht mehr aufkommen.

„Aber die schmecken gut“, sagt Timo, der sich eins der ersten Teile schnappte und auch Carlo mümmelt mit genussvollem Summen eins in sich hinein. „Na dann muss ich auch wohl“, denk ich mir und ja – sie schmecken, sind sogar richtig lecker. Meine Laune hebt sich wieder und wird mit jedem Bissen und jedem Schluck Wein besser.

Oder sollte man besser sagen „Plattpferl“? Wie gerollte Hörnchen sehen sie jedenfalls nicht aus.

Irgendwann sitzen nur noch Timo und ich bei Ingrid vorm Kamin auf dem Sofa, und schmieden mit ihr weinselige Pläne. Stellen uns vor, wie wir als Senioren auch noch in 30 Jahren kurz vor Weihnachten aus ganz Deutschland verteilt zu ihr nach Oldenburg reisen, um in lustiger Runde Plätzchen zu backen.

Mittlerweile ist es viertel vor vier morgens und Ingrid rückt mit Schnaps an. „Vegefeuer“ lese ich auf der Flasche. Nun denn: Nich‘ lang schnacken, Kopp in‘ Nacken. Schlagartig werde ich von einem heftigen Brennen im Schlund aus meiner Gemütlichkeit gerissen, und auch Timos Kopf wird plötzlich rot. Ingrid grinst. „So Jungs, ohne das Zeug wärt ihr noch glatt hier eingeschlafen“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Mein Kollege und ich haben verstanden: es ist Zeit zu gehn. Auch wenn wieder nicht alles glatt lief: Spätestens jetzt, nach dem dritten Backen wissen wir: Das ist der Beginn einer wunderbaren Tradition.

 

So, das war unser letzter Blogbeitrag für dieses Jahr. Wir wünschen allen treuen GustOL-Fans ein besinnliches Weihnachtsfest und einen feuchtfröhlichen Start in ein tolles neues Jahr 2017. Auch bei uns wird sich was tun: Anna geht bald unter die Muttis und muss deshalb etwas kürzer treten. Trotzdem freuen wir uns auf viele neue, spannende kulinarische Herausforderungen.

Beitragsbild: Imago/Fotomontage