Licht und Schatten im Hafenhaus

So was ist mir auch noch nicht passiert, dass ich zweimal zum Testen ausrücke und die Ergebnisse so unterschiedlich sind. Einmal Vollkatastrophe und einmal ganz okay. In der Regel mache ich vor jedem Haupttest einen Vortest oder lasse einen machen, beziehungsweise mir von Besuchen berichten. Meine „alte“ Schulkollegin Ida war schon mehrmals im Hafenhaus und meinte, es wäre ein Lotteriespiel, vor allem, was den Service angeht: „Manchmal wartet man da ewig und wird schlicht ignoriert“, sagte sie vor unserem gemeinsamen Haupttest. Und sie sollte recht behalten.

Dienstag:

Wir setzen uns bei sonnigen 18 Grad auf die halb volle Terrasse – und ich lege mir die Uhr zurecht:

13:25 Uhr: Ankunft

13:35 Uhr: Ida spricht die dritte oder vierte geradeausblickend vorbeigehende Kellnerin mit einem „Hallo“ an. Diese grüßt zurück.

13:45 Uhr: Wir bekommen die Mittagstisch-Karte (alle Gerichte für 7,30 Euro) und unsere Getränkewünsche werden aufgenommen.

14:00 Uhr: Unsere großen Apfelschorlen (0,5 Liter für je 4,60 Euro) kommen und unsere Bestellung für die Gerichte wird notiert.

14:40 Uhr: Das Essen ist da. Einmal Pilzrisotto mit Garnelen und Tomaten für Ida, und die Tagliatelle Negro mit Parmesanschaum und Gemüse für mich.

In der Zwischenzeit passiert an den Nachbartischen so einiges: Ein Mann vor uns beschwert sich, dass er gehen würde, wenn sein Essen nicht bald da wäre.  Eine Frau hinter uns wartet nicht mehr auf die Bedienung und nimmt sich die Speisekarten direkt vom Service-Tisch. „Heute ist das mit der Bedienung besonders krass“, sagt Ida, nachdem wir nach über einer Stunde ohne Essen dasitzen, „wer hier jetzt grad was in seiner Mittagspause essen will, hat verloren“.

„Stell dir mal vor, GustOL, wir zwei hätten hier ein erstes Date und müssten dabei so lange auf unser Essen warten. Das wäre eine richtige Katastrophe, wenn man sich nichts zu sagen hat. Ich glaube, dann würde manch einer schon vorm Essen flüchten!“

GustOLs Tagliatelle negro vom Dienstag. Negro ist hier allerdings wenig.

Als mein Essen vor mir steht, muss ich zweimal hingucken. „Negro“ heißt auf Deutsch schwarz, aber diese Tagliatelle waren hell. Und überhaupt, wo ist der Parmesanschaum? Ich frage die Kellnerin, ob es das richtige Gericht ist. „Doch, das `negro` kommt von der Art der Zubereitung. Und der Parmesanschaum hat sich aufgelöst“, erklärt sie etwas unsicher.

„Das glaubt die doch selbst nicht“, murmelt mir Ida grinsend zu. Ich auch nicht, und nach dem Probieren schon gar nicht. Denn hier schmeckt rein gar nichts nach Parmesan, stattdessen schwimmt alles in einer ordentlichen Fettlache. Auch sonst bleiben meine Geschmacksknospen ungekitzelt. Bandnudeln mit Gemüseschnitzelchen und einfach nur Fett. Ich versuche die Geschmacklosigkeit noch etwas mit Salz und Pfeffer zu retten, aber es bringt nichts. Ich lasse die Hälfte der eh nicht so großen Portion liegen.

Fettorgie statt Parmesanschaum. Alles andere als appetitlich.

Ich biete Ida an, ebenfalls zu probieren. „Bleib mir bloß mit den Fettnudeln weg“, sagt sie zurückzuckend. Ihr Risotto ist aber anscheinend auch nicht gerade der Volltreffer. Rein optisch hätte das Gericht mehr Pfiff vertragen können, und die Portion ist auch für einen Mittagstisch recht übersichtlich geraten. Dementsprechend fällt auch Idas erster Eindruck aus: „Nach der langen Wartezeit hätte der Koch wenigstens mit Liebe kochen können!“

Aber vielleicht entschädigt der Geschmack für die vielen sehnsüchtigen Blicke in Richtung Küche, bis die erwarteten Speisen endlich auf unserem Tisch gelandet sind? „Erzähl, Ida! Wie findest du dein Risotto?“, frage ich neugierig. „Joaa, die Konsistenz vom Reis ist okay, aber insgesamt schmeckt das Risotto ziemlich fad. Der Parmesan scheint in den Kanal gefallen zu sein“, spielt Ida auf meinen Parmesanschaum ohne Parmesan an. „Die Garnelen sind total trocken und schmecken nach gar nichts. Probier doch mal, du darfst dir auch die größte aussuchen!“ Ich teste alles brav durch und habe ihrer treffenden Analyse nichts hinzuzufügen.

Das Schälchen mit Pilzrisotto haut Ida und GustOL auch nicht vom Hocker.

Das einzig Tröstende heute ist das Ambiente. Direkt neben sich die Hunte zu sehen, hat schon was. Und auch drinnen ist es wohl mit einer der schicksten Läden in Oldenburg. Umrahmt von riesigen Glasfronten genießt man den Ausblick auf Terrasse, Fluss und Sonne. Das Mobiliar mit viel Holz in klaren aber eleganten Formen strahlt stylishe Gemütlichkeit aus. Ach, es könnte so schön sein.

Wieder im Büro, berichte ich meinem Chef, dass es so wohl ein totaler Verriss wird. Da wir in solchen Fällen aber nicht einfach drauflosschreiben, sondern eine zweite Chance geben, erklärt er sich bereit, mich zu begleiten und Ida zu vertreten.

Freitag:

Kalt ist’s geworden, der Wind weht und die Sonne scheint auch nicht – also heute drinnen.  Wir finden einen schönen Fensterplatz im kaum gefüllten Lokal. Die Uhr läuft:

12:45 Uhr: Ankunft

12:49 Uhr: Eine freundliche Kellnerin nimmt unsere Getränkewünsche auf und gibt uns die Mittagstisch-Karten

12:53 Uhr: Diesmal kommt ein gut gelaunter Kellner vorbei und bringt die Getränke. Er nimmt unsere Essenswünsche auf. Ich will es noch mal wissen: Tagliatelle Negro! Mein Chef nimmt das „Zweierlei vom Grill“.

13:11 Uhr: Unser Essen ist da. 26 Minuten vom Hinsetzen bis zur Lieferung sind für einen Mittagstisch noch vertretbar. Und allemal besser als eine Stunde und 15 Minuten.

Die Tagliatelle negro vom Freitag sind tatsächlich schwarz …

Doch die größte Überraschung erfolgt auf dem Teller. Siehe da, die Tagliatelle Negro machen heute ihrem Namen alle Ehre. Und als ich die Nudeln anhebe, erblicke ich tatsächlich weißen Parmesanschaum. Und unten? Keine Fettlache, nix – auch nicht nach mehreren Minuten. Allerdings ist es auch diesmal etwas fad, und die Tagliatelle haben eine etwas gummiartig-zähe Konsistenz. Nicht schlimm, aber insgesamt kein Vergleich zur großartigen Pasta, die wir im Bestial getestet haben.

… und diesmal auch mit Parmesanschaum.

Mein Chef, selbsternannter Grill-Nerd, ist von seinen Fleischteilchen wenig angetan. Denn Teilchen trifft es ganz gut. Sie sind ihm etwas zu klein. Mit seinem Messer zeigt er auf einige grobe Meersalzkörner. „Das ist etwas unharmonisch, stellenweise zu salzig. Außerdem ist das Rindfleisch ganz schön durchwachsen. Das Beste haben die nicht grad genommen“, kritisiert er. Das Urteil vom Chef: okay, aber nicht gut.

GustOLs Chef ist Grillnerd und von seinem Fleisch wenig angetan.

 

Ich bin ja kein Unmensch, deshalb fällt der zweite Test deutlich stärker ins Gewicht

Essen: 2,75 von 5

Bedienung: 3 von 5

Ambiente: 5 von 5

Preis/Leistung: 3 von 5

Fazit: Vorsicht vor Sonnenschein. Sitzen ein paar Leute mehr draußen, scheint die Personalplanung nicht aufzugehen. Auch das Essen ist nicht berauschend. Schade: Dieser wunderschöne Laden hätte Besseres verdient.

Hafenhaus Oldenburg, Achterdiek 2, 26131 Oldenburg, Telefon 0441-361 38 40, Mittagstisch montags bis freitags von 12 bis 14 Uhr.